Es ist so leicht, dem eigenen Alltag zu entfliehen und in fremde Welten abzutauchen. Dafür reicht bereits ein dünner Heftroman vom Kiosk um die Ecke völlig aus. Die in der Regel wöchentlich am Dienstag neu erscheinenden Romane kosten im Schnitt nicht einmal zwei Euro und helfen für knapp anderthalb, zwei Stunden bei der gewünschten Realitätsflucht.
Denn eins ist sicher: Jeder Roman hat ganz genau 64 Seiten lang Zeit, um das Happyend vorzubereiten. Denn dann muss der garstige Teufel tot, das schöne Mädchen aus der Hand der Wilder-Westen-Banditen befreit, der Mordfall geknackt, die grimmige Alien-Invasorenrasse besiegt und der Arzt in der idyllisch gelegenen Klinik die richtige Diagnose gestellt haben.
Viele Heftromanserien, die am Kiosk des eigenen Vertrauens im Regal stehen, gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten. Entsprechend hoch sind die Heftnummern, die auf dem bunten Cover stehen. Der Geisterjäger „John Sinclair“, der FBI-Agent „Jerry Cotton“, der härteste Mann des Wilden Westens „Lassiter“ oder unser Mann im All „Perry Rhodan“ – sie alle sind bereits vierstellig.
Wer damals in den Siebzigern in den Hochzeiten des Heftromans damit begonnen hat, als Jugendlicher die im A5-Format auf Zeitungspapier gedruckten und mit einem Glanzcover versehenen Heftromane wegzuschmökern, ist nicht selten noch immer als Stammleser mit dabei.
Das weiß auch Klaus N. Frick, Chefredakteur der 1961 gestarteten „Perry Rhodan“ Science-Fiction-Serie, die inzwischen die 3.000er Nummer geknackt hat: „Der typische Leser unserer Perry-Rhodan-Heftromane ist männlich und um die fünfzig Jahre alt. Unsere Leser sind sehr treu, viele sind schon seit Jahrzehnten dabei.“
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Klaus N. Frick, Chefredakteur Perry Rhodan.
Denn das große Problem gerade bei den Spannungsromanen im Krimi-, Science-Fiction-, Western- oder Gruselsegment ist es, die heutige Jugend zum Lesen zu verführen. Denn wie sagt Uwe Meier, der zusammen mit Ulrike Schulz den Zeitungsladen neben „Interfood“ in der Finkenkruger Straße 2 in Falkensee betreibt, so treffend: „Bei der Jugend sind wir schon froh, dass sie mit dem Handy vor der Nase nicht gegen unsere Eingangstür laufen. Sie interessieren sich doch gar nicht mehr für die gedruckten Heftchen.“
Das Zeitungsgrosso als Zulieferer der Kioske passt übrigens ganz genau auf, in welchem Zeitungsladen sich welche Heftserien wie häufig verkaufen. So berichtet ein anderer Kioskbetreiber aus Falkensee: „Unsere Kasse meldet alle Verkäufe sofort an das Grosso weiter. Wenn da zweimal nacheinander festgestellt wird, dass eine bestimmte Heftromanserie liegen bleibt, bekomme ich sie in Zukunft gar nicht mehr geliefert. So reduziert sich das Angebot immer mehr.“
Klaus N. Frick: „Man muss leider klar sagen, dass die großen Zeiten des Heftromans vorüber sind.“
Das sieht auch Kioskbetreiberin Ulrike Schulz so: „Unser Laden liegt ja direkt neben der Bahn. Von 20 Fahrgästen, die auf die Bahn warten, kleben 19 mit der Nase am Handy. Da liest doch niemand mehr. Wir denken, die gedruckten Heftromane sterben mit der aktuellen Generation aus.“
Aber – noch ist ein Markt da. Und noch immer gibt es im ganzen Land viele tausend Leser, die sich Woche für Woche ihren Schmökerstoff einkaufen. Im Schichtdienst, nachmittags auf dem Sofa oder im Bett kurz vor dem Einschlafen lassen sich die Romane gut weglesen. Die literarische Qualität ist oft besser als ihr Ruf. Die drei großen Verlage Bastei, Pabel-Moewig und Kelter geben sich eben alle Mühe, trotz sinkender Verkaufszahlen lesenswerte Romane in Druck zu geben. Die sprachliche Gewitztheit, die früher ein Günter Dönges mit seinen verschmitzten „Butler Parker“ Romanen erzielt hat, bleibt aber unerreicht – und somit in angenehmer Erinnerung.
Der Bastei- und der Kelter-Verlag versuchen immerhin, den Markt mit vielen Neuauflagen, die wieder bei der Nummer 1 beginnen, neu zu beleben. Als Einstieg für neue Leser. So hat Bastei den früher so beliebten „Gespenster-Krimi“ neu ins Rennen geschickt, legt den in den Siebzigerjahren wegen seiner Brutalität mehrfach indizierten „Dämonenkiller“ unter dem Namen „Dorian Hunter“ ungekürzt neu auf und hat mit „Skull-Ranch“ auch für die Western-Fans neuen Lesestoff im Programm. Auch Kelter brennt für den Western und legt „Doc Holliday“ und „Wyatt Earp“ neu auf.
Wohlgemerkt: Das alles sind Neuauflagen, für die nur kleine Zweitverwertungshonorare zu zahlen sind. Timothy Stahl, der bereits über 150 Heftromane für Serien wie „Trucker-King“, „Jack Slade“, „UFO-Akten“, „Mitternachts-Roman“, „Maddrax“ oder „Professor Zamorra“ verfasst hat, darf inzwischen für die Grusel-Kultserie „John Sinclair“ Romane schreiben. Er sagt: „Ein Heftroman ist zwischen 160.000 und 200.000 Zeichen lang. Im Idealfall schreibe ich zwei Wochen an einem Roman. Aber dieser Fall tritt nicht sehr oft ein, meist brauche ich länger. Die Honorare sind nicht sehr hoch, bei nur einem Roman im Monat würde ich glatt verhungern. Die Schnellschreiber und echten Profis unter den Autoren schaffen einen Roman pro Woche.“
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John-Sinclair-Autor Timothy Stahl
Klar ist: Damit die Leser Woche für Woche wieder zu einem Roman greifen, sucht sich jede Romanserie ihr besonderes Extra, um den Leser bei der Stange zu halten.
Schon immer sorgt etwa so die Western-Serie „Lassiter“ mit expliziten Sexszenen für rote Ohren bei den doch meist männlichen Lesern. Damals, als es noch kein Internet gab, waren die „Lassiter“-Hefte begehrte Tauschware unter den heranwachsenden Jugendlichen.
Die Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ setzt eher auf den Fortsetzungscharakter. Die kosmischen Abenteuer ziehen sich hier über sogenannte Zyklen, die oft 50 oder 100 Hefte umfassen. Immer, wenn die Serie alle zwei Jahre „nullt“, startet ein neues Epos, was Neueinsteigern den Start erleichtert.
Das Drama ist natürlich: Das Ende einer jahrzehntelang gewachsenen Lesekultur ist in Sicht. In den Dörfern und Städten sterben die Zeitungskioske rapide aus, weil die Nachfrage nach gedrucktem Lesestoff jedweder Art sinkt. Wenn man sich einmal vor Augen führt, wo es in der Nachbarschaft noch einen richtigen Kiosk oder ein Zeitungsgeschäft gibt, so wird man nicht viele Finger beim Zählen vor die Augen heben müssen. Hinzu kommt – wie bereits erwähnt -, dass bei nachlassender Nachfrage leider auch die Anzahl der ausliegenden Hefte schnell angepasst wird. Für die Verlage gibt es nur begrenzt Möglichkeiten, die Anzahl der ausliegenden Hefte später wieder zu erhöhen.
Die Zukunft des Heftromans könnte immerhin im Digitalen liegen. Beim e-Book. Klaus N. Frick: „Die digitalen Ableger unserer Heftromanserie, also die e-Books und die Hörbücher, werden von Jahr zu Jahr wichtiger für den Verlag. Sie sind für die Kunden dank einer permanent verfügbaren Internet-Verbindung überall zu haben und können schnell geladen und dann gelesen oder gehört werden.“
Bei den e-Books kommt hinzu, dass es für den Verlag kein Problem ist, gleich die ganze Serie anzubieten. Hier gibt es die Sorge des Fans nicht, dass er aus Versehen eine Ausgabe verpasst. Im Gegenteil: Oft erscheinen für Kindle & Co sogar preiswerte Sammelwerke, die zum Spartarif angeboten werden. So lassen sich viele Heftromane in einem Rutsch auf das Lesegerät laden. Leser Uwe Rutenberg: „Im Kindle kann ich die Schriftgröße an mein Sehvermögen anpassen, das Gerät merkt sich auch ohne Eselsohren, wo ich gerade im Roman stecke, und wenn ich nachts ein Heft ausgelesen habe, lade ich mir gleich die Folgeausgabe aufs Gerät.“
Erstaunlich ist, wie einfallsreich die Fan-Szene zum Heftroman steht. So hat Joachim Otto bereits vor langer, langer Zeit die „Romantruhe“ (www.romantruhe.de) gegründet. Hier kann der Leser verpasste Einzelhefte nachbestellen, wichtiger aber noch Halb- und Jahresabonnements für seine Lieblingsserien abschließen, sodass die neuesten Ausgaben ohne Stress einmal im Monat per Post ins eigene Haus kommen. Inzwischen legt die „Romantruhe“ sogar in Eigenregie lange vergriffene Kultserien wie „Dr. Morton“ neu auf oder schreibt beliebte Serien wie den Gruselschocker „Tony Ballard“ einfach weiter.
Und Peter Koos aus Schwerte an der Ruhr sammelt in seinem „Heftromanarchiv“ (www.heftromanarchiv.jimdo.com) Titel, Coverbilder und Autorennamen der wichtigsten Romanheftserien in Deutschland ab 1945. Ein Mammutarchiv, das für alle Sammler den gedruckten Katalog ersetzt.
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Ulrike Schulz und Uwe Meier, Falkenseer Kioskbetreiber.
Übrigens: Die Heftroman-Lektüre für die Damenwelt wird noch immer in deutlich gesünderen Stückzahlen aufgelegt. In diesen Romanen geht es um tolle Ärzte, verliebte Fürsten, besorgte Mütter oder die Heimat in den Bergen. Serien wie „Sophienlust“, „Chefarzt Dr. Holl“, „Notärztin Dr. Andrea Bergen“ oder aber „Alpengold“ hatten schon immer in der älteren Generation der Großmütter treue Abnehmer. Angesichts des Erfolgs vom „Traumschiff“ im Fernsehen und der Kreuzfahrtindustrie im Allgemeinen ist es nur erstaunlich, dass es zurzeit keine Kreuzfahrtserie mehr gibt.
Als die Heftromane in den Siebzigerjahren in Deutschland ihren Höhenflug erlebten, da hatten es die meist jungen Leser übrigens noch sehr schwer: Die neue Literaturgattung war bei den Eltern nicht besonders gut gelitten und wurde als „Schund“ verdammt. Die Eltern befürchteten, dass die „Trivialliteratur“ einen schlechten Einfluss auf die Deutsch-Noten der Kinder und erst recht auf die Fantasie des Nachwuchses haben würde.
Leser Carsten Scheibe (52) erinnert sich: „Als Jugendlicher habe ich mir jede Woche einen dicken Stapel neuer Heftchen vom nahe gelegenen Kiosk geholt. Das war meinen Eltern so suspekt, dass sie mir das verbieten wollten. Das hat mich natürlich nicht vom – nun heimlichen – Lesen abgehalten. Trotzdem war es eine unnötige Aktion. Viele Eltern junger Heranwachsender wären heute froh, wenn ihre Kinder überhaupt etwas lesen würden. Denn oft stellen die Jugendlichen das Lesen vollständig ein und interessieren sich nur noch für das Smartphone und die Spielekonsole.“
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Carsten Scheibe mit einer Handvoll Western-Romane.
Klaus N. Frick: „Mit unseren e-Books erreichen wir die jüngere Leserschaft eher als mit den gedruckten Heften, sodass die Zahlen hier auf lange Sicht wieder Mut machen.“ (Text: CS / Fotos: CS, Katrin Weil, Jared Stahl, Ann-Kristin Ebeling)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 162 (9/2019).
Der Beitrag Schmökerstoff im Heftformat: Jerry Cotton, John Sinclair & Perry Rhodan laden Woche für Woche zu einem neuen Abenteuer ein! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.